GoKarts geklaut – doch was geschah dann?
GoKart geklaut – was nun?
Ich betreibe mit meiner Familie in Berlin auf dem Tempelhofer Feld eine Vermietstation von Fahrrädern, Pedal- GoKarts und Tretmobilen. Da in den Hangars des ehemaligen Flughafens mehrere Tausend Flüchtlinge untergebracht sind, kommen diese bei gutem Wetter auch aufs Feld, um sich zu erholen.
Im Mai 2016 hatten wir auf unserer Vermietstation ein Problem mit Flüchtlingskindern. Sie kamen mehrmals in Gruppen, setzten sich auf unabgeschlossene GoKarts und fuhren einfach davon. Wenn wir sie verfolgten, rannten sie weg. Meine Mitarbeiter fühlten sich hilflos. Die zwischen 7 und 12 Jahre alten Kinder und Jugendliche sprachen kaum deutsch, ihre Eltern waren nirgends zu sehen und es waren manchmal über 20 Kinder.
Die Problematik erinnerte mich an die Zeit, als ich damals in Berlin- Kreuzberg vor meinem Fahrradladen Probleme mit türkisch- arabischen Straßenkindern bekam, die kein Geld hatten, aber unbedingt mit meinen GoKarts fahren wollten. Sie sprangen wiederholt auf die abgeschlossenen Karts und beschädigten sie dadurch. Ich löste das Problem damals, indem ich sie Müll auflesen lies, wofür sie dann GoKart fahren durften. Leider beendete ein Bußgeldbescheid des Ordnungsamtes dieses Projekt, da ich ohne Sondererlaubnis keine GoKarts auf den Bürgersteig stellen durfte.
Die Flüchtlingskinder auf dem Tempelhofer Feld
An einem Sonntag war ich auf der Station und erwischte einen Trupp von Kindern, wie sie gerade versuchten, ein GoKart zu entwenden. Ich rannte zum Kart und bekam den größten der Jungen zu fassen. Um ihn vor weiteren Diebstählen abzuhalten, sagte ich:
„Ich muss dich jetzt mitnehmen und die Polizei benachrichtigen, weil du ein GoKart geklaut hast!“ In Wirklichkeit dachte ich: „Oh nein, keine Lust auf Polizei. Das bringt nur Ärger und Scherereien und hält mich von der Arbeit ab. Was soll ich nur mit dem Jungen machen?!“ Der Junge brach in Tränen aus. „Nein, bitte, keine Polizei. Ich nicht geklaut, das waren die anderen“, stammelte er. Umstehende fragten, was er denn gemacht habe, ich solle ihn gehen lassen. „Das ist jetzt das dritte Mal in kurzer Zeit, dass wir beklaut worden sind“, rechtfertigte ich mich. Es war mir sehr unangenehm, ein weinendes Kind am Arm zu halten. Wie er so vor mir auf die Knie sank und bittete und bettelte, tat er mir einfach leid. Da der Junge sich sträubte, mitzukommen, und ich keine Gewalt anwenden wollte, ich mir aber auch nicht ganz klar war, wie viel seines Verhaltens nun echt und wie viel gespielt war, kam mir ein anderer Gedanke. Vielleicht gab es ja eine bessere Lösung. Ich wollte ihn nicht erniedrigen und auch nicht, dass er sich vor mir erniedrigte. Also sagte ich: „Okay, du willst nicht mitkommen. Dann bring mich zu deinen Eltern. Ich will mit ihnen reden.“ Da hörte der Junge auf zu weinen und willigte ein. Er führte mich Richtung Flugzeughangars.
Ein Lösungsansatz
Draußen vor dem Zaun auf einer Grünfläche saßen eine Gruppe von Frauen auf ausgebreiteten Decken, einige Männer standen herum. Die Kids, die zuvor weg gerannt waren, kamen mir von dort entgegen. Ich ging ernsten Blickes auf die Erwachsenen zu, in der Absicht, mich zu beschweren, aber als ich fast bei Ihnen war, und von ihrer Seite keinerlei Feindlichkeit, sondern eher nur eine abwartende Haltung zu spüren war, änderte sich meine Haltung sofort und ich begrüßte sie freundlich: „Hallo, willkommen in Deutschland. Schön, dass ihr da seid!“, sagte ich und schüttelte allen reihum freundlich die Hand. Sie verstanden die Geste, sprachen jedoch kein deutsch, da sie aus Syrien waren. Anfangs eher distanziert begann sich nun die Stimmung ein wenig aufzulockern und einige Syrer lächelten. Ein ca. 10 Jahre alter, erstaunlich gut deutsch sprechender Junge kam zu mir und übersetzte meine Worte. Ich schilderte das Problem. Die Erwachsenen schienen nichts von der Diebstahlproblematik zu wissen, hörten ruhig zu und schienen erstaunt. Ich erklärte, dass ich verstünde, dass die Kinder gerne mit den GoKarts fahren wollten, aber kein Geld hätten. Deshalb bot ich an, sie könnten in einer halben Stunde zur Mietstation kommen, ein wenig Müll von der Wiese auflesen und dann GoKart fahren. Dann verabschiedete ich mich.
Kinder haben ihre eigenen Vorstellungen
Zurück auf der Mietstation gab es viel zu tun. Eine Schlange von Leuten hatte sich gebildet und wollte Fahrzeuge mieten und meine Tochter brauchte meine Unterstützung. Da hörte ich ein Kleinkind schreien. Ich sah eine Mutter, die mit ihrem Mann einen Dreier gemietet hatte und sich mit ihrem ca. 1,5 Jahre altem Kind auf den hinteren Sitz setzte. Das Kind wehrte sich jedoch heftig und schrie. Als das Geschrei anhielt, wollte ich zu der Frau gehen. Meine Tochter hielt mich zurück. „Die kommen schon alleine klar“, sagte sie. Doch ich ging und kniete mich zu dem Kind. Es strampelte, schrie und bog sich mit aller Gewalt. Die Mutter lächelte gequält, der Vater stand daneben. So konnten sie unmöglich losfahren. Ich sagte: „Ich habe das Gefühl, euer Kind will runter.“ Die Mutter nickte und ließ das Kind auf den Boden. Der Junge verstummte sofort, rannte zum vorderen Sitz des Fahrzeugs, und versuchte, darauf zu klettern. „Du willst alleine auf dem Sitz sein, was?“, sprach ich den Jungen an. Er drehte sich halb zu mir um und schaute mich mit großen Augen an. „Ich glaube, er will ein bisschen selbst probieren“, sprach ich zu dem Vater, einem Südafrikaner. „Gebt ihm ein bisschen Zeit, dann fällt es ihm leichter, mit zu fahren.“ Der Vater, ein Mann mit dem Körper eines Bodybuilders, nickte, und ich ging wieder zurück in den Vermietanhänger.
Nach einiger Zeit tauchten plötzlich 7 syrische Kinder auf. Einige waren aus der Gruppe von vorher. Sie setzten sich voller Erwartung auf die GoKarts. Ich verließ sofort den Mietanhänger und rief sie zu mir. „Papa, ich brauch dringend deine Hilfe“, rief mich meine 21jährige Tochter zurück. Eine Traube von Kunden standen vor dem Anhänger. Die Hälfte wollte Fahrzeuge mieten, die andere abgeben. Hier tanzte der Bär, und ich hatte nichts besseres zu tun, als mit kleinen Kindern zu diskutieren.
„Ich kann gerade nicht, es ist wirklich wichtig“, beschwor ich meine Tochter. „Ich komm so schnell wie möglich zurück.“ Dann widmete ich mich den Flüchtlingskindern. Ich winkte sie zur Seite, verteilte ein paar Plastiksäcke und erklärte ihnen ihre Aufgabe. Doch musste ich ihnen erst einmal genau zeigen, was Müll ist. Endlich hatten sie verstanden.
Es klappt…
Zehn Minuten später war alles um die Mietstation herum gesäubert und sie standen mit einem halbvollen Müllsack vor mir. Ich holte einen Zweier- Kart, doch sofort sprangen die Jungs heran, und schlugen sich um das Fahrzeug. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu trennen. Ich sagte: „Wenn ihr euch prügelt, kann ich niemanden fahren lassen. Überlegt euch, wer mit wem fahren will, und dann kommt zu mir.“ Schnell fanden sich Pärchen und ich schrieb Zahlen auf die Hände der Kinder. Die ersten Beiden bekamen eine 1, die nächsten eine 2 usw.. Die Kinder, die gerade nicht fuhren, ließ ich an einem Container warten. Wer nicht warten wollte, konnte auch nicht fahren. Sie erhielten noch eine strenge Einweisung, um Unfälle zu vermeiden und dann ging es los. Glücklich traten die Kids in die Pedale, ihre strahlenden Gesichter entschädigten für all die Mühe und den Zeitaufwand. Zwar wurde ich auch von meiner Tochter gebraucht, aber sie konnte auch eine Weile alleine klar kommen. Würde ich mich jetzt jedoch nicht den Kindern zuwenden, würde alles nur noch schlimmer. Also verzichtete ich eine Zeit lang auf mein Geschäft, um die Kinder dort abzuholen, wo sie waren. Wenn mir das gelang, dann ließ sich vielleicht etwas bewegen.
Während die Kinder also jauchzend vor Freude vor unserer Station hin und her fuhren und ich versuchte, sie nicht aus dem Blick zu lassen, kam plötzlich der Südafrikaner von vorhin zu mir und drückte mir einen 10€- Schein in die Hand. Ich war perplex. „Aber, danke, lassen Sie mal sein, wofür denn?“, fragte ich den Mann überrascht. „Nein nein, schon gut“, sagte er freundlich. „Ich hab mitbekommen, was Sie mit den Kindern gemacht haben. Fand ich echt gut!“ Dann ging er zu seiner Frau. „Hast einen schönen Mann“, rief ich ihr noch zu, während sie mit ihrem zufriedenen Kind auf dem Arm davon ging. „Ja, aber man muss gut auf ihn aufpassen“, scherzte sie zurück.
Geduld zahlt sich aus.
Voller Freude über dieses schöne Erlebnis erzählte ich meiner Tochter, was passiert war. „Aber wieso hat er dir 10 Euro gegeben?“, fragte sie. Ihr fehlten die Worte. Auch meine Frau staunte am Abend nicht schlecht. Eine schöne Geschichte, sagte sie. Wie aber ging es weiter? Ließen sich die Erfahrungen, die wir 15 Jahre zuvor mit Problemkindern in Berlin- Kreuzberg gemacht hatten, auch auf diese Gruppe von Kindern übertragen?
Tatsächlich. Es sollte gelingen. Eine Woche später kam die Gruppe wieder. Zwar fuhr der große Junge, den ich gefasst hatte, hinter dem Rücken meiner Tochter mit einem Tretmobil davon, doch gelang es mit Hilfe der anderen Kinder und einem Erwachsenen, das Fahrzeug schnell wieder zurück zu holen. Die Kinder hatten eine Bindung zu mir aufgebaut. Das machte mich froh.
Und meine Tochter machte es mir nach. Als sie mir erzählte, dass sie neulich ebenfalls die Kids hatte fahren lassen und dass es anstrengend gewesen sei, die Kinder dazu zu bringen, in einer Reihe anzustehen, überraschte und freute es mich sehr. Ein bisschen Stolz schwang schon mit, als sie sagte: „Und du hättest mal die Parkbesucher sehen sollen, wie die gestaunt haben!“ Viele Parkbesucher hätten ihr gegenüber ihre Anerkennung geäußert. Seitdem ist uns kein Fahrzeug mehr abhanden gekommen. Der Einsatz wurde belohnt. Ein schönes Gefühl. Marko Teubert