Diktat der Geschwindigkeit – und was ich dagegen tun kann!
Risiko durch Geschwindigkeit
Gerade wird viel über selbstfahrende Autos geredet. Die Software der Autos muss in Gefahrensituationen mit tödlichem Ausgang zwischen zwei Möglichkeiten eine auswählen. In einer Simulation muss das Auto einem Fußgänger ausweichen und dabei einen anderen überfahren. Wem weicht es aus, wer wird überfahren? Moral kennt ein Computer nicht, so argumentieren die Entwickler, also müssen die Menschen im Vorfeld die Entscheidungen fällen, die das selbstfahrende Auto dann wählt. In den Medien wird über die Moral dieser Entscheidungen diskutiert. Darf man ein Leben gegen das andere abwägen? Ist das junge Paar schützenswerter als drei ältere Menschen? Das Kind oder der Erwachsene? Seltsame Fragen!
Dabei gibt es bei der ganzen Diskussion einen Denkfehler. Es ist derselbe, der schon lange den Verkehr in Deutschland beherrscht. Es ist die Mär vom fließenden Verkehr, der sich alles unterzuordnen hat und für die man bereit ist, Todesopfer in Kauf zu nehmen. Auch „erlaubtes Risiko“ genannt. Eine Situation wie die oben beschriebene kann jedoch nur entstehen, wenn ich trotz enger Straße und schlechter Sicht so schnell fahre, dass ich nicht mehr rechtzeitig reagieren kann, wenn z.B. ein Kind auf die Straße rennt. Drossel ich jedoch rechtzeitig das Tempo, wenn eine Strasse schlecht zu überschauen ist, werde ich sehr viele Gefahrensituationen im Vorfeld abwenden.
Sand im Getriebe
Doch der fließende Verkehr hat Vorrang vor der Sicherheit und so nimmt man viele Tote und noch viel mehr Verletze in Kauf. Da muss es einen Paradigmenwechsel geben, der sich an den Schwächsten und Verletzlichsten der Gesellschaft orientiert. Das Diktat der Geschwindigkeit beschränkt sich nicht auf den Autoverkehr und auf ein Verkehrsmittel. Ich werde nicht durch die Wahl des Verkehrsmittels zu einem besseren Menschen. Manche Fahrradfahrer rauschen mit Affenzahn an älteren Leuten vorbei, an der Supermarktkasse stöhnen die Wartenden, wenn es nicht fix genügt geht, weil der Kunde vor ihnen noch im Portemonnaie kramt und Eltern rufen allerorts zu ihren Kindern: „Nun komm endlich, ich will nach Hause!“ Der andere Mensch wird zum Störfaktor im reibungslosen Ablauf, zum Sand im Getriebe.
Nimm Dir Zeit und nicht Dein Leben….
Doch was passiert mit all der ersparten Lebenszeit? Früher sterben, weil man früher fertig ist? Das ist sicher nicht das, was Menschen sich wünschen, wenn sie sich durch den Tag jagen. Die meisten wünschen sich, endlich Zeit zum Leben zu haben und hetzen sich deshalb so ab. Sie vergessen, dass immer Zeit zum Leben ist. Leben ist der Plausch an der Supermarktkasse, Leben ist das Gänseblümchen am Straßenrand, was das kleine Kind die Zeit vergessen lässt, Leben ist auch ein Stau auf der Autobahn, der manchmal echt lustig werden kann, wenn ich Kontakt zu den Mitstauenden aufnehme.
Das, was gerade hier und jetzt passiert, das ist meine Zeit. Die Zeit kann auch nie langsamer oder schneller vergehen, sie ist immer gleich. Was ich mit der Zeit mache, liegt an mir. Es liegt an jedem einzelnen von uns, aus der Geschwindigkeitsspirale auszusteigen. Das geschieht, indem ich eine Situation, so wie sie gerade ist, annehme. Ja, gerade ist eine lange Schlange im Supermarkt. Wer steht eigentlich mit mir an? Gute Gelegenheit für einen kleinen Plausch, der die ganze Runde auflockert. Ja, gerade stehe ich im Stau. Gute Zeit, um mal wieder laut zu singen. Ja, mein Kind schaut sich gerade die Ameisen auf dem Gehweg an. Wie winzig sie sind und schaffen es doch, die Gehwegplatten zu unterhöhlen. „Waso machen die das?“ fragt meine kleine Tochter.
Wir gewinnen soviel dabei, wenn wir das, was uns scheinbar von unserem Ziel abhält, zulassen. Mehr Begegnungen, mehr Lebendigkeit und auch mehr Sicherheit, denn wir laufen nicht in Gefahr, aus Eile etwas Gefährliches zu übersehen. Und so steigt auch unsere Lebensqualität und Zufriedenheit.
Dagmar Gericke
Im Leben kommt es immer wieder zu erstaunlichen Begegnungen!
Zum Weiterlesen:
http://www.newslichter.de/2013/06/entschleunigung-der-mensch-ist-fur-tempo-30-gemacht/
http://www.verkehrswissenschaftler.de/berichte/bericht_2.htm